Welch glückliche Fügung des Schicksals (oder war die Hand des Fußballgottes im Spiel?) - ich mal wieder ein Wochenende am Niederrhein und nicht irgendwo am Ost- oder Westrand der neuentstehenden Mitteldeutschen-Lausitzer-Seenplatte und dann auch noch die Energiekicker auf Gastspiel in einem der hiesigen Tempel des Fußballs. Auch wenn es sich bei dem Tempel eher um eine Kapelle handelt, denn der Aachener Tivoli entspricht in etwa dem SdF, mein Entschluß stand langfristig, also ca. 28 Stunden vor Anpfiff fest: Da muss isch hinne!
Nach 5 bis 10 Minuten in der Warteschleife - schönen Gruß an die Handyrechnung
- säuselte mir eine ruhige und total sexy klingende Frauenstimme, dass für das Cottbusspiel natürlich noch Karten an der Tageskasse zu bekommen seien. "Da wurden doch sooo viele wieder zurückgeschickt."
Einerseits *yippie* andererseits *kann ja einsam werden*.
Und plötzlich ertappte ich mich bei dem Gedanken, daß die Stimme der guten frau bei abschlägiger Antwort vermutlich absolut unsymphatisch für meine Ohrtern geklungen hätte
Die restlichen Bürostunden flogen dahin. Ich hatte noch ein grundlegendes Problem zu klären:
Gehe ich Freitag trinken. um mich auf die Schlacht am Fuße der Ardennen einzustimmen, und im Falle einer Blamage alles vielleicht durch einen 1,8 Promille-Restalkoholschleier gaaaooor nicht so schlecht gesehen zu haben oder
fahre ich unbenebelt in die kulturgeschichtlich interessante alte Kaiserstadt und gehe lieber anschließend am Samstag einen Trinken. Je nach Spielausgang - ein Grund wäre immer da.
Lange nachdem ich das Büro hinter mir gelassen hatte, entschied ich mich für Variante zwei. Freitag Abend 1,5 Flaschen Wein auf der heimischen Ottomane. Da sist nicht zuviel, aber als Schlummertrunk ausreichend.
Am Samstag also dann putzmunter und ausgeschlafen wie lange nicht 10:30 mit dem Regionalexpress und 4 Jeverchen im Rucksack ab Oberhausen, zwei bis Köln, zwei nach dem Umsteigen bis Aachen.
So gegen halb eins Ankunft Aachen.
Das Stadion sollte irgendwo einmal durchs ganze Zentrum sein, also los einmal durch. Ehrenrunde um den Dom und dann sah man auch schon vereinzelte Einheimische in Dünahmo-Dreschden-Farben in eine Richtung strömen. Schnell noch 'nen Kaffee auf die 4 Jever und ein Krombacher zum Nachspülen und den Eingeborenen vorsichtig und unauffällig gefolgt.
So halb zwei am Tivoli zahlreich waren die Energyfans wahrlich noch nicht erschienen.
Da die Aachener bei etwas über 20.000 Plätzen im Stadion 15.000 Dauerkarteninhaber vorweisen können, sind Tageskarten für Allemannen begehrt.
Der Gästeblock hat normalerweise für 2.100 Leutz Platz. Da aber der Vorverkauf in der Lausitz zu wünschen übrig lies, plante man kurzerhand um.
Der eigentliche Gästeblock wurde größtenteils für spät-kurz-entschlossene Familienväter mit Kindern/Enkeln und sonstigen eher bieder ausschauenden Zeitgenossen zugänglich gemacht.
Die Handvoll Ossis, die angemeldet war wurde kurzentschlossen in den eigentlichen Pufferblock zwischen Heim- und Gästebereich gepfercht (Breite ca. 8 bis maximal 10 Meter
)
Dumm war natürlich, aber das hatte sich vermutlich noch nicht bis in's Belgische Vorland herumgesprochen, daß die gemeinen Ostdeutschen im allgemeinen und die Fußballfans unter ihnen im speziellen in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten eine stille Völkerwanderung vollzogen haben und die Rheinischen Stammlande in Heerscharen infiltriert haben.
Es kam wie es kommen musste, im Gästeverschlag wurde es zunehmend enger. Der Securitate Service hatte clevererweise neben anderen Sachsen, Thüringern und Preussen auch einen Ex-Cottbuser als Ordner für seine Landsleute abgestellt (ich glaubte mich auch schemenhaft an das Gesicht zu erinnern....).
Zum Bier und Wurscht holen musste man allerdings immer an der Aachener Rentner/Enkel-Fraktion vorbei. Gegenseitig misstrauisches Beäugen war Pflicht.
Dann machten sich irgendwann beide Mannschaften schön warm, also noch ca. 45 Minuten bis es losgeht. Eine Uhr habe ich im Stadion nicht gesehen. Vielleicht auf der Anzeigentafel, aber die steht ja parallel zum Gästblock. Mannschaftsaufstellung lesen, Spielstandeinblendungen und dergleichen war also nix.
Dann Anpfiff. Als Referee hatte man in Frankfurt den allseits wegen seiner eleganten Frisur geliebten, ob seiner Art der Pfeiferei, irgendwann die Linie zu verlieren und dann nur noch kreuz und quer zu pfeifen, gefürchteten bzw. gehassten Franz-Xaver Wack bestimmt. Und bei der traditionelle ruppigeren Gangart, wenn Allemannia auf Energetika trifft - ich freute mich auf ein kartenreiches Spiel mit Platzverweisen und wüsten Beschimpfungen der blinden schwarzen Sau und der Schiebermafia DFB.
Die Aachener Fans belehrten mich zunächst eines besseren und zollten wiederholt ihre Bewunderung ob bayerischer Frisörkunst mit laustarken "Deine Haare liegen gut, deine Hahaare liegen gut...."
Da sich zu Beginn einige Energetiker auch gewohnt grobmotorich und mehr als ungeschickt im Zweikampf zeigten Pfiff auf Pfiff und zwei gelbe, wenn ich richtig gezählt habe.
Vom Spiels in den ersten 45 Minuten bleibt zu vermelden: man sah, daß hier zwei Aufsteiger spielten. Das typische Gekicke der zweiten Liga, zeitweilig sogar nur regionalligawürdig.
Aachen im Mittelfeld und im Spielaufbau irgendwie einen Tick wacher, spritziger und energischer. Allerdings meist nur bis zum Strafraum. Bei Energie war der Ball in der Vorwärtsbewegung meist nach 3 -4 sec. wieder wech.
Dann ein Freistoß für Aachen, weil mal wieder keiner den ballführenden stören wollte. Erst bei ca. 18 m entschied sich dann einer die Sense rauszuholen, wer war vom anderen Ende nicht auszumachen.
Also ca. 18 m Torentfernung etwas etwa Höhe linker Pfosten. Reghecampf mit rechts, schön über die Mauer gehoben, Pipi fliegt vergebens in die Mauerecke Tooooooor - gelbschwarzes Jubelmeer, Gästestall konsterniert.
Am allgemeinen Spielverlauf änderte sich bis zur Halbzeit nichts. Gott sei Dank setzten die Allemannen nicht konsequent nach. Ein 2:0 hätte Energie wohl nicht mehr konntern können.
Als noble Geste muss dann das Verlesen der Halbzeitergebnisse gewertet werden (schade Bayern, alles ist ...
). Schnell noch zwei Pils in der Pause und dann rollt das Leder auch schon wieder.
Der lange fehlende Schöckel bleibt in der Kabine, das ist auch besser so!
Aber staun, was ist denn jetzt los. Die Aachener haben wohl was im Pausentee gehabt. Sie haben irgendwie den Faden verloren. Cottbus jetzt auch besser am Mann, mehr aber auch nicht.
Doch nach und nach scheinen sogar Patricks Schäfchen zu realisieren, irgendwie läufts besser. Plötzlich wird schneller, und vor allem genauer nach vorne gespielt, die Gegner beim Aufbau konsequenter gestört, Konter angesetzt. Und dann knallt's.
Daniel G. der im offensiven Mittelfeld wirklich viiiiel lief erkämpft den Ball aus so einer Unachtsamkeit der Aachener Abwehr. Kurzer Antritt, Flanke von rechts in die Mitte, irgend ein Energetiker kommt angespikt, Direktabnahme TOOOOOOOOOOOR.
Die Sardinenbüchse von Gästblock explodiert!
Die ersten Zaghaften schreien sich an: "Ein 1:1 wäre doch toll!"
Sehen die nicht, was hier los ist, Aachen hat inzwischen vollständig den Faden verloren!!
Da die Aachener Fans längst keine Loblieder mehr auf das schön gefönte Haupt des Referees singen, entscheidet der so allmählich auch mal FÜR Francis K., den Schrank der Lausitz zu pfeifen, der bekanntlich immer gehalten oder geschoben wird. Jetze sieht Xaver mit seinen Argusaugen die Trikot-Reisfest-Proben, die gemeinen Rempler .... und pfeift einen Freistoß nach dem anderen FÜR Energie.
Als Gunkels Daniel die Lunge pfeift, darf Shao(lin) ran.
Vermutlich ist im fernen China heuer Jahr des Schwans, denn plötzlich mimt er einen sterbenden solchen und Franz-Xaver pfeift wieder, klar FÜR Energie.
Vom Gästblock aus sah's nach Schwalbe aus, und ich prustete auch herzhaft ob dieser künstlerisch wertvollen Darbietung. Mein Nachbar, der bereits seine gesamte Reisekasse vertrunken hatte und ständig so komisch nach meinem Bier schielt meint noch: "Genau wie bei dem Elfer gegen .... (Ich war nicht da und hab ihn auch nicht richtig verstanden), sowas muss doch nich sein."
Ich kann gerade noch zurückschreien: " Wenn der Freistoß reingeht, dann war's doch o.k.!" da setzt der olle Rost zum Schuß an, läuft dann doch noch 'nen Schritt an der Mauer vorbei TOOOOOOOOOOOOOOORRRRRRRRRRRRRRRRR!
Dat jibbet doch gaor nisch.
Der Rest ist Geschichte, Aachen trischt die Bälle nur noch planlos Richtung Pipi; der geht grenzwertig gegen einen durchgebrochenen Aachener vor (Da inzwischen die Cottbuser wie Hühner in der Legebatterie herumhüpfen, flattern ihre drei Wimpel und 35 Schals schwenken kann ich es kaum sehen) aber der Xaver, der gute, lässt die Pfeife still.
Wie lange is denn noch? Naah, die hamm spätor angepfiffen, un zwee Minuten gibts beschtimmt noch druff! Mensch, pfeiff ab!
Raus, den Ball! Jetzt dicht machen!! Blos keenen mehr durchlassen!!! AUSWÄRTSSIEG!!!!!!!
Ecke, Ecke, noch 'ne Ecke - Bälle werden nur noch rausgeschlagen und kommen postwendend zurück. Dann wieder: Ball rausgeschlagen und XAVER - er pfeifft ab!
Siiiiiiiiiiiiiiiiiiiieeeeeeeeeeeeeg!
Wir woll'n die Mannschaft seh'n, wir woll'n die Mannschaft seh'n.......
So ein Tag, so wunderschön wie heute......
Schnell noch ein Bierchen für den Weg und dann back to the Bahnhof!
Unterwegs im Kurpark, traf ich dann 5 pupertierende Ostbelgier, die waren aber scheinbar voller als ich, denn sie begrüßten mich laut schreiend mit "Ossie-Arschlöcher"! Meinen höflichen Einwand, daß ich doch nur ein Ossiarschloch sei, kam nicht besonders gut an.
Einige Einheimische aus dem heutigen Familienblock, fanden allerdings, daß man so mit Gästen nicht umgehen sollte, und schlossen sich mir an. Danke noch mal an dieser Stelle, auch wenn sie es nicht lesen werden.
Für die Rückfahrt noch mal die bereits bewehrten 4 Bier gebunkert und im Zug zurück nach Köln dann mit anderen Aachener Fans
angenehm geschwätzt.
Meine Bemerkung, "wenn ihr damals den Reghecampf nich gekauft hättet, hättet ihr heute sogar 0:3 verloren" kostete mich allerdings fast ein Bier
Da ich mich am Freitag ja zurückgehalten hatte, wurde dieser fundamental wichtige Sieg im Oberhausener Flöz noch ordentlich betrunken!
Bleibt festzuhalten, die Zeiten, da für Energie zwischen Ruhr und Rur nichts zu holen war, scheinen vorbei.
Piplica stürtzt zwar nach wie vor in seinem 5-Meter-Raum umher, aber der rest der mannschaft scheint inzwischen innerhalb eines Spiels auch zu erkennen, wenn man den Gegner knacken kann. Diesmal hatt's geklappt. Hoffen wir auf Fortsetzungen!
Sport frei!